Keith Jarrett
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Eine Wende in meinem Leben

Das Plattencover vom Köln Concert wurde von ECM in einer limitierten Auflage von 150 Stück als gerahmtes Bild herausgebracht.
Das Köln Konzert vom 24. Januar 1975
Ja, es gibt sehr viele Alben von Keith Jarrett, vielleicht auch bessere, aber keines hat meinem Leben so einen Ruck gegeben, wie diese LP. Es war das erste Mal, dass ich eine Jazzplatte gehört habe, die mit Klavier solo gespielt wurde. Die Musik ist völlig improvisiert, alles wird spontan erfunden, Keith Jarrett geht ohne Vorbereitung in das Konzert. Vielleicht deshalb ist diese Musik ein Teil meines Lebens und meines Klavierspiels geworden.
Dabei wäre diese LP beinahe gar nicht erschienen. Keith kam übermüdet aus Basel zusammen mit Manfred Eicher in einem Renault 4 angereist, hatte kaum etwas gegessen, und zu allem Überfluss war der Flügel auch noch der falsche: statt eines 2,90 m langen "Imperial" stand nur ein kleinerer Bösendorfer-Flügel zur Verfügung. Das Tonstudio Bauer aus Ludwigsburg hat deshalb die Aufnahme schon streichen wollen und letztlich nur für interne Zwecke mitgeschnitten. Die junge Konzertveranstalterin Vera Brandes musste mit Engelszungen auf Jarrett, der schon zur Abfahrt im Auto saß, einreden, doch zu spielen.
Diese von Manfred Eicher auf dem ECM-Label veröffentlichte LP ist das meistverkaufte Album Jarretts und gleichzeitig die meistverkaufte Jazz- und Klavier-Solo-Platte.
Übrigens: Der eigentliche Held ist der bis heute unbekannt gebliebene Klavierbauer, der den Bösendorfer so wunderbar vorbereitet und gestimmt hat.
Der Flügel beim "Köln Concert"
Immer wieder wird von einem Schrottflügel oder einem schlechten bzw. falschen Flügel erzählt in Zusammenhang mit diesem Konzert. Aber kann das wirklich stimmen? Meine Einschätzung zur Legendenbildung.
1. Der Klavierbauer(meister)
Das Konzert fand an einem Freitag statt. Also gehen wir davon aus, dass der Stimmer/Techniker für diesen Tag bestellt wurde. Der Kollege hat sicher keinen Schrotthaufen vorgefunden, der nicht konzerttauglich war: Er hätte mit der Veranstalterin Rücksprache gehalten, dass das Instrument in diesem Zustand nicht benutzt werden kann. So aber können diese hervorragende Klavierstimmung und Intonation, die auf der Platte zu hören sind, kein Zufall sein. Wäre die Substanz des Instruments so schlecht gewesen, hätte der Stimmer diese hochqualitative Arbeit nicht leisten können.
2. Die Mechanik
Sollte es sich um ein viel benutztes, aber schlecht gewartetes Piano handeln, dann hätten die Hammerköpfe starke Einschläge gehabt, die Mechanik wäre desolat und ungleichmäßig, die Tastatur uneben, die Auslösung und Repetition aus dem Lot. Das alles hat dramatische Auswirkungen auf Klang und Spielbarkeit. In diesem Fall hätten die Hammerköpfe überarbeitet werden müssen, ja die Mechanik wäre teilzerlegt worden - und das alles hätte die junge Frau Brandes auch bezahlen müssen. So eine Arbeit nähme darüber hinaus auch einige Stunden in Anspruch. Da Keith aber spät in Köln ankam, kann das alles nicht so relevant gewesen sein. Denn was hören wir auf der LP: Perlende Läufe, gleichmäßigen Zusammenklang von den tiefen bis in die hohen Lagen, atemberaubend sauber ausklingende Akkorde! An keiner Stelle der Aufnahme spürt man, dass Keith Jarrett sich hier wegen des Bösendorfers musikalisch eingeschränkt fühlt. Das Instrument war rundum perfekt vorbereitet.
3. Das Pedal
Wäre die Pedalanlage nicht in Ordnung gewesen, hätte es der Klavierbauer nur mit erheblichem Aufwand richten können. Quietschen oder Knarren kann an vielen Stellen auftreten und es bedarf einiges an Erfahrung, um das abzustellen. Ebenso ist das gleichmäßige Abheben bzw. Aufsetzen der Dämpfer existenziell für eine ausgeglichene Spielbarkeit und auch den Klang. Besonders in Part II a rückt das Pedal in den Mittelpunkt, als Jarrett die Akkorde lange ausklingen lässt. Und das laute Klacken ist ein Stilmittel, bei dem er den Fuß vom Pedal rutschen lässt, und kein Fehler.
4. Die Größe des Flügels
Das Foto auf dem Plattencover zeigt Jarrett übrigens an einem Steinway und deshalb nicht beim Köln Concert.
Nun, es war der falsche Flügel. Sicher sollte der Bösendorfer 290 "Imperial" auf der Bühne stehen - die Oper Köln verfügt bestimmt über einige sehr gute Klaviere. Hier aber ist es zu einer Verwechslung beim Bühnenaufbau gekommen. Mutmaßlich handelt es sich beim Konzert um das Modell 200, wohl eher nicht um den 225er, denn der hat doch mehr Energie und wäre von Jarrett sicher nicht verweigert worden.
5. Mein Fazit
Trotz alledem ist die Qualität des benutzen Klaviers über alle Zweifel erhaben, kann der Flügel weder alt noch schlecht gewesen sein. Denn der gleichmäßige Klang, sowohl in ppp wie fff, die glockige, perfekte Intonation und auch die fehlerlos arbeitende Dämpfung und das präzise Pedal sind Zeugnis eines hochwertigen, klanglich einwandfreien Meisterstücks. Und der Stimmer hat hörbar erstklassige Arbeit geleistet. Erst im vierten Teil (Part II c) des Konzerts sind leichte Schwebungen zu hören, die Jarretts kräftigem Anschlag Tribut zollen. Oder glauben Sie wirklich, Jarrett und Eicher hätten jemals eine schlecht klingende Platte veröffentlicht?
WDR Zeitzeichen
30.11.1975: Das Album "The Köln Concert" erscheint bei ECM.Bücher

Keith Jarrett
The man and his music
Autor: Carr, Ian
Verlag: Grafton Books
Verlag: Grafton Books
Erschienen: 1991
ISBN 0-246-13434-8
(auf englisch)

Keith Jarrett
Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten
Autor: Andresen, Uwe
Verlag: Oreos
Erschienen: 1985
ISBN 3-923657-09-9

Keith Jarrett
Eine Biographie
Autor: Sandner, Wolfgang
Verlag: Rowolt Verlag
Erschienen: 2015
ISBN 978 3 87134 780 1
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Keith Jarrett hat ein immenses Pensum an Jazz- und auch Klassikwerken bei ECM veröffentlicht. Imrovisierte Konzerte, wie das Köln Concert, die legendären Sun Bear Concerts in Japan. Oder die Standards mit Gary Peacock und Jack DeJohnette, die zum Teil in einem Take aufgenommen wurden und deshalb Liveatmosphäre ausstrahlen. Aber auch Orgelkompositionen und Klavierwerke, wie das "Wohltemperierte Klavier" von J. S. Bach oder die Cembalosonaten ("Württembergische") C. Ph. E. Bachs, gehören dazu.
